Systemische Metakompetenzen als Führungs-Tools

Iris Wieg • 8. Mai 2024

Multiperspektivik, Ambiguitätstoleranz, Selbst-Reflexivität

Die Einführung agiler Strukturen und Prozesse in Unternehmen stellt Führungskräfte und Personalverantwortliche vor Herausforderungen. Klassische Führungsinstrumente wie Zielvereinbarungen, Delegation, Kommunikation, Entscheidungsfindung sind nach wie vor relevant, müss(t)en aber auf ihre Agilitätstauglichkeit hin überprüft werden. Darüber hinaus finden sich Führungskräfte zunehmend in einer moderierenden Funktion wieder, wenn sie eigenverantwortliche und sich selbst organisierende Teams leiten. Noch dazu, wenn deren Aufgabenspektrum die eigene Fachkompetenz überschreitet. Das hat Konsequenzen für das eigene Rollen- und Selbstverständnis und Widersprüchlichkeiten scheinen vorprogrammiert.

Um in agilen Organisationsstrukturen sicher führen zu können, bedarf es neben fachlicher und disziplinarischer Kompetenz im klassischen Sinne zunehmend organisatorischer Metakompetenzen. Denn nicht nur die Zahl der Arbeitsinhalte und -themen nimmt ständig zu, auch die Aufgaben und Ziele verändern sich so schnell, dass ihre Kontrolle über herkömmliche Steuerungsinstrumente kaum mehr möglich ist. In der Folge kommt es bisweilen zu Auswüchsen auf der Ebene der internen Kommunikation wie einer Überflutung mit emails, in die dann jeder (!) in Kopie gesetzt wird, um doch noch den Anschein der Entscheidungssicherheit herzustellen oder Verantwortlichkeiten ex post rekonstruieren zu können. Sicherlich das Gegenteil von Agilität, denn es verdeutlicht exemplarisch, was geschieht, wenn man Agilität nur auf Projektebene eingeführt wird, ohne die Organisation im Ganzen anzupassen.

Diese Anpassungsleistungen sind dann am erfolgversprechendsten, wenn neben einer betriebswirtschaftlichen auch eine systemische bzw. organisationtheoretische Perspektive eingenommen werden kann. Die BWL betrachtet Organisationen (als Unternehmen) vorrangig unter Effizienz- und Leistungsgesichtspunkten. Das ist gut und richtig, wenn Umsatz erwirtschaftet und Gewinne erzielt werden sollen. Allerdings lässt sich Organisation auch systemtheoretisch betrachten, was - zumindest in agilen Zeiten - von Vorteil ist. So erleichtert es Führungskräften die Arbeit, wenn ihnen klar ist, wie sie zwischen der organisatorischen und der sozialen Dimension eines Unternehmens unterscheiden und sicher navigieren können. Beide Dimensionen spielen bekanntlich im Arbeitsalltag von Führungskräften eine wichtige Rolle, werden jedoch meist nicht differenziert genug betrachtet. Während jedoch die organisatorischen Erfordernisse (z. B. disziplinarische Führung) selbstverständliches Thema sind, führen Erwartungen an die Authentizität und Transparenz von Führungskräften noch viel zu stark in herausfordernde Situationen, weil hier zu oft - und aus den besten Gründen - unterstellt wird, das ließe sich immer mit strategischen Erfordernissen vereinbaren.

Die Veränderungsprozesse, auf die sich agile Organisationen einlassen, können sehr viel konstruktiver gesteuert werden, wenn man die traditionelle BWL-Logik ubiquitärer operationaler Skalierung von Prozessen und Strukturen mit einer rekursiven Logik der Optimierung ergänzt. Eigentlich ist das ein Grundprinzip der Agilität - wenn man sie nicht auf reine Skalierungs-Instrumente reduziert. So ist es beispielsweise ein großes Missverständnis anzunehmen, dass "Selbstorganisation" oder "Selbstverantwortung" ohne Steuerung auskommen können. Vielmehr geht es um die Form, in der dies geschieht. Führungskräfte sind weder überflüssig, noch können oder sollten sie auf Verantwortungsübernahme auf der operativen Ebene verzichten. Vielmehr benötigen sie ein besseres Verständnis dafür, wie sich die oft beschworenen "iterativen" Prozesse auf den verschiedenen Organisationsebenen umsetzen lassen und dass es dabei im Wesentlichen um die Einführung geeigneter Spielregeln geht.

Agilität ist ja durchaus als Antwort auf das Phänomen der VUCA-Welt konzipiert worden, die durch zunehmende Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität gekennzeichnet ist. Letztlich geht es also darum, wie diese zunehmende Komplexität in der Umwelt von Unternehmen eine geeignete Entsprechung im Unternehmen selbst finden kann, um sie besser zu verstehen und steuern zu können. Seien es zunehmend anspruchsvollere Kundenanforderungen, seien es immer dynamischere Digitalisierungsschübe - die Antwort auf Seiten der Organisationen kann eigentlich nicht darin bestehen, "Agilität" als weiteres Projektmanagement-Tool einzuordnen und gleichzeitig so weiterzumachen wie gehabt. Die Grundprinzipien der Agilität: Flexibilität, Innovation, Veränderungsfähigkeit beruhen auf den Vorteilen größerer Komplexitätsgrade im Unternehmen selbst. Es sollte also klar sein, dass man sich mit der Einführung von agilen Strukturen bewusst höhere Komplexität in's Haus holt - hoffentlich um sie dann proaktiv zu nutzen. Um das jedoch zu können, bedarf es der im Titel aufgeführten Metakompetenzen.Denn, auch hier gilt die Erkenntnis eines weiteren bedeutenden Physikers, die so neu nicht ist: "Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind" (Albert Einstein).

Der Begriff der Multi-Perspektivik greift die agilen Prinzipien insofern auf, als er für die Notwendigkeit einer relativierten Sicht auf "die Wirklichkeit" steht. Schon Heisenberg wusste, dass sich jedes Phänomen durch die bloße Anwesenheit eines Betrachters verändert. Eine objektive Sicht auf die Realität gibt es nicht für Physiker und auch nicht für Betriebswirte. Man mag das beklagen, man kann es aber auch für sich nutzbar machen. Das geschieht, wenn Führungskräfte in Unternehmen z. B. zielgerichtete Entscheidungsfindung im Konsens betreiben. Und wo das aus unternehmensstrategischen Gründen nicht möglich ist, transparente und nachvollziehbare Spielregeln einführen, die Akzeptanz fördern.

Ambiguitätstoleranz steht für einen veränderten Umgang mit Widersprüchlichkeit, der unter agilen Bedingungen notwendig wird. Wer sich auf die Fahnen geschrieben hat, flexibler und gewandter mit unvorhergesehenen Ereignissen und neuen Anforderungen umgehen zu wollen, dem wird nichts anderes übrigbleiben, als sich mit den dann unausweichlichen Widersprüchlichkeiten auf der Handlungsebene möglichst konstruktiv auseinanderzusetzen.

(Selbst-)Reflexivität kann als das Pendant zum agilen Grundprinzip der Rekursivität auf der persönlichen Ebene betrachtet werden. Allerdings geht es hier nicht so sehr um - die sicherlich auch hilfreichen - psychologischen Aspekte dieser Kompetenz. Vielmehr ist Reflexivität ein notwendiges Instrument, um z. B. Entscheidungen so zu treffen, dass sie in Kontexte eingebunden sind, die sie im Zweifelsfall nachvollziehbarer und - sofern nötig - eher revidierbar machen. Auch hier ist das klassische Verständnis der Führungskraft betroffen; es geht auch hier darum, sich die Vorteile zu verdeutlichen, die ein agilerer Gesamtzusammenhang im Unternehmen für die Erreichung strategischer Ziele mit sich bringt.

Agility Training
von Iris Wieg 7. Mai 2024
wie Systemische Konzepte nutzbar gemacht werden können, um Agilität als Organisationsprinzip zu erklären
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